The Needle Was Travelling

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AlbumMar 14 / 200514 songs, 49m 36s
Indietronica
Noteable

Es gibt zwei Nachrichten aus dem Lager von Tarwater zu vermelden, eine gute und eine sehr gute. Nach ihrem Abschied von Kitty-Yo haben Ronald Lippok und Bernd Jestram eine neue künstlerische Heimat gefunden. "The Needle Was Traveling" ist ihr fünftes reguläres Album, ihre erste Veröffentlichung für Morr Music - und zeigt das Duo, das 1996 aus der Asche von Ostberliner Undergroundbands wie Rosa Extra oder Ornament & Verbrechen hervorgegangen ist, auf der Höhe seines Könnens. Unter denjenigen, die bislang die Gelegenheit hatten, die Platte zu hören, gibt es nicht wenige, die sie sogar für ihr Meisterwerk halten. Gleich in dem grandiosen Eröffnungsstück "Across The Dial" (und allerspätestens mit "Unseen In The Disco", bereits jetzt ein Anwärter auf einen Platz in der Liste ihrer All-Time-Greats) wird klar, dass sich Tarwater eine Aufgabe gestellt haben müssen, als sie im Herbst 2003 mit den Arbeiten an dieser Platte begannen. In ihrer Musik findet sich nun ein neuer Ton, der den Songs einen erzählerischen Atem verleiht. Getragen durch einen warmen, sanft insistierenden Puls gleiten sie von einem Track, von einem Kapitel zum nächsten und dringen in verzauberte, doch seltsam vertraute Landschaften vor, von denen man nie weiß, ob sie auf einer Zeitachse in ferner Zukunft liegen oder Teil eines längst vergessenen Universums sind, in dem die Wahrheit einmal ihr Zuhause hatte. Alles wirkt wie von einer inneren Glut beleuchtet, entstanden in nächtlichen Momenten plötzlicher Klarheit, wo alles lose Verstreute mit einem Mal einen inneren Zusammenhang bekommt, dessen Logik man nur noch folgen muss. Ließen sich ihre bisherigen Alben, etwa das minimalistische "Silur", ihr erster großer Wurf von 1998, oder der zwei Jahre später erschienene Nachfolger "Animals, Suns & Atoms" in einen Zusammenhang mit damals aktuellen Buzzwords wie "TripHop" oder "Electronica" bringen, so ist die hermetische, ambivalent schillernde Klangalchemie von Tarwater inzwischen an einem Punkt angelangt, wo kaum noch erkennbar ist, in welcher Zeit sie eigentlich hergestellt worden ist. Selbst die noch vor wenigen Jahren heiß diskutierte Frage, ob es automatisch einen künstlerischen Vorsprung bringt, wenn Musik "elektronisch" produziert wird oder nicht, verliert ihre Berechtigung. Dass "The Needle Was Traveling" so zwingend und wie aus einem Guss klingt, könnte ganz im Gegenteil damit zu tun haben, dass die Hinwendung vom repetitiv organisierten "Track" zum "Song", wie sie auf dem 2003 erschienenen Vergänger "Dwellers On The Threshold" zu beobachten war, hier ihre Fortsetzung findet. Erstmals basieren die Stücke nicht in erster Linie auf Keyboardlagen, sondern wurden im Zusammenspiel von "traditionellen" Instrumenten wie Bass, Schlagzeug und Gitarre entwickelt. Samples und andere von Tasteninstrumenten gespielte Parts kamen erst später hinzu - genauso wie die Beiträge von befreundeten Musikern wie Dirk Dresselhaus (Schneider TM), Marc Weiser (Rechenzentrum) oder Hanno Leichtmann (Static), die während der Aufnahmen in Bernd Jestrams neuem Studio zufällig zu Besuch kamen und spontan in den musikalischen Prozess einbezogen wurden. Herausgekommen ist ein Album von ebenso großer Formstrenge wie Detailfülle, eine dieser Platten mit hohem Suchtfaktor und langer Brenndauer, bei denen sich vieles sofort, manches aber erst nach wochenlangem Hören erschließt. Während der rund zwölfmonatigen Arbeiten ist Ronald Lippok und Bernd Jestram sogar so viel eingefallen, dass das Ergebnis kaum auf die gängigen Tonträger passt. Die CD-Version hat knapp 50 Minuten Spielzeit und enthält 13 neue Stücken sowie eine Coverversion von "Babylonian Tower", mit der Tarwater der fast vergessenen israelisch-belgischen Postpunk-Band Minimal Compact ein kleines Denkmal setzen.